In einer aktuellen Entscheidung hat das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt einer Reisenden ein Schmerzensgeld in Höhe von 1.500,– € zugesprochen, weil diese durch das Austeilen von dampfenden Erfrischungstüchern während eines mehrstündigen Fluges eine schwerwiegende allergische Reaktion erlitt.
Die Klägerin reiste im Oktober 2010 mit einem Flugzeug der Beklagten von Indien nach Deutschland. Während des Fluges wurden dampfende Erfrischungstücher – sog. „Saunatücher“ – ausgeteilt. Hierdurch wurde bei der Klägerin eine allergische Reaktion mit Atemnot ausgelöst, die eine ärztliche Behandlung und die Empfangnahme der Klägerin durch einen Notarzt nach der Landung erforderlich machte.
Das erstinstanzlich zuständige Landgericht sprach der Klägerin nach einer umfangreichen Beweisaufnahme über die Umstände des Vorfalls ein Schmerzensgeld von 2.000,– € gegen die beklagte Fluggesellschaft zu.
Die hiergegen von der Beklagten eingelegte Berufung wies das OLG mit der vorliegenden Entscheidung nunmehr im Wesentlichen zurück. Zur Begründung führte es aus, die Klägerin könne auf der Grundlage des Montrealer Übereinkommens ein Schmerzensgeld verlangen, weil die allergische Reaktion durch eine typische, dem Luftverkehr eigentümliche Gefahr ausgelöst worden sei. Die Kausalität zwischen dem Verteilen der Erfrischungstücher und der allergischen Reaktion sei aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme bestätigt worden. Die Klägerin müsse die durch die Erfrischungstücher ausgelösten Beschwerden auch nicht als Folge des allgemeinen Lebensrisikos hinnehmen. Die an Bord befindlichen Mitarbeiter der Beklagten hätten nämlich von der Allergie wissen müssen, weil die Klägerin einem Crewmitglied einen entsprechenden Hinweis gegeben und darum gebeten habe, vom Verteilen der Tücher Abstand zu nehmen. Die Mitarbeiter der Beklagten seien deshalb gehalten gewesen, die Austeilung der Tücher zu unterlassen oder die Klägerin so zu separieren, dass sie nicht beeinträchtigt würde.
Auch wenn nicht alle Crewmitglieder über die gesundheitliche Disposition der Klägerin orientiert gewesen seien, liege dies außerhalb des allgemeinen Lebensrisikos der Klägerin und stelle eine Pflichtverletzung der Beklagten dar, die auch in einem Großraumflugzeug die Fürsorge gegenüber einzelnen Passagieren, auf deren besondere Situation sie aufmerksam gemacht worden sei, nicht vernachlässigen dürfe. Die Klägerin müsse sich jedoch ein Mitverschulden anrechnen lassen, was das Landgericht übersehen habe. Es habe nämlich von ihr verlangt werden können, dass sie mit mehr Nachdruck auf ihre Situation aufmerksam gemacht hätte. In dem Moment, als die Verteilung der Tücher begann, hätte die Klägerin sich nicht einfach in ihr Schicksal ergeben, sondern notfalls aufstehen und laut „Halt“ rufen müssen.
Das Urteil ist nicht anfechtbar.
OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 16.4.2014, Aktenzeichen 16 U 170/13
Artikel 17 Abs 1. des Montrealer Übereinkommens lautet:
Der Luftfrachtführer hat den Schaden zu ersetzen, der dadurch entsteht, dass ein Reisender getötet oder körperlich verletzt wird, jedoch nur, wenn sich der Unfall, durch den der Tod oder die Körperverletzung verursacht wurde, an Bord des Luftfahrzeugs oder beim Ein- oder Aussteigen ereignet hat.
Pressemitteilung des OLG Frankfurt am Main vom 30.04.2014
Oberlandesgericht Frankfurt (Main)
Urteil vom 16.04.2014, Az. 16 U 170/13
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das am 30. August 2013 verkündete Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main – 2-24 O 93/12 – teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin ein Schmerzensgeld in Höhe von 1500,– € zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
Von den Kosten der ersten Instanz tragen die Klägerin 90 % und die Beklagte 10 %; von den Kosten des Berufungsverfahrens haben die Beklagte 75 % und die Klägerin 25 % zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
1
Die Klägerin verfolgt Schmerzensgeldansprüche wegen einer Gesundheitsbeeinträchtigung durch das Einatmen der Ausdünstungen von dampfenden Erfrischungstüchern, die auf dem Rückflug X ihres bei der Beklagten gebuchten Fluges von O1 nach O2 und zurück am …. Oktober 2010 verteilt wurden.
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Hinsichtlich näherer Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils (Bl. 257-259 d. A.) Bezug genommen.
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Das Landgericht hat der Schmerzensgeldklage, die auf ein angemessenes Schmerzensgeld gerichtet war, wobei 15.000,– € als angemessen erachtet worden sind, in Höhe von 2.000,– € entsprochen und im Übrigen die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat das Landgericht im Wesentlichen ausgeführt, dass es sich bei der von der Klägerin erlittenen allergischen Reaktion um eine körperliche Verletzung handele, die durch eine typische, dem Luftverkehr eigentümliche Gefahr verursacht worden sei. Dafür hafte die Beklagte gemäß Art. 17 Abs. 1 MÜ i. V. m. § 253 Abs. 2 BGB, da nach dem Ergebnis der Zeugenvernehmungen davon auszugehen sei, dass die für die Durchführung des Fluges verantwortlichen Mitarbeiter der Beklagten von der Allergie der Klägerin und der von ihr befürchteten allergischen Reaktion wussten.
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Hinsichtlich näherer Einzelheiten der landgerichtliche Begründung wird auf die Entscheidungsgründe der angefochtenen Entscheidung (Bl. 259-264 d. A.) Bezug genommen.
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Gegen das ihr am 3. September 2013 zugestellte Urteil hat die Beklagte mit einer am 20. September 2013 bei Gericht eingegangenen Schrift Berufung eingelegt, die – nach entsprechender Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist – mit einer am 3. Dezember 2013 bei Gericht eingegangenen Schrift begründet worden ist.
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Die Beklagte rügt unzutreffende Tatsachenfeststellungen und Rechtsfehler.
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Sie meint, nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme sei nicht der Beweis geführt, dass die Saunatücher ursächlich für die allergische Reaktion der Klägerin gewesen seien. Überdies hätte die Klägerin noch mit mehr Nachdruck auf die gesundheitlichen Gefahren hinweisen müssen, sodass ein erhebliches Mitverschulden zu berücksichtigen sei. Schließlich ist sie der Ansicht, dass das Landgericht die körperlichen Beeinträchtigungen der Klägerin zu Unrecht nicht lediglich als eine dem Schmerzensgeld nicht zugängliche Bagatelle eingestuft habe, und rügt die Unausgewogenheit der Kostenentscheidung.
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Die Beklagte beantragt,
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unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen.
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Die Klägerin beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
12
Die Klägerin verteidigt das angefochtene Urteil.
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Hinsichtlich weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den vorgetragenen Inhalt der zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
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Die in formeller Hinsicht unbedenkliche Berufung der Beklagten hat zu einem geringen Teil auch in der Sache Erfolgt.
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Zu Recht hat das Landgericht der Klägerin einen Schmerzensgeldanspruch auf der Grundlage von Art. 17 Abs. 1 MÜ (Montrealer Übereinkommen) i. V. m. § 253 Abs. 2 BGB zugebilligt, weil die allergische Reaktion der Klägerin durch eine typische, dem Luftverkehr eigentümliche Gefahr ausgelöst wurde.
16
Die Kausalität zwischen dem Verteilen der Erfrischungstücher und der allergischen Reaktion hat das Landgericht nach Durchführung einer Beweisaufnahme bejaht. Der Senat ist an diese tatsächlichen Feststellungen gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO gebunden, da keine konkreten Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der Feststellungen rechtfertigen.
17
So haben die Zeugen A, B und C übereinstimmend ausgesagt, dass die Beschwerden der Klägerin beim erstmaligen Austeilen der Tücher aufgetreten seien, sodass die Kausalität als nachgewiesen anzusehen ist. Dass ein von der Klägerin eingenommener Medikamentencocktail ursächlich für die Atemnot der Klägerin gewesen sein könnte oder sie gar eine Selbstinszenierung vorgenommen habe, ist eine ins Blaue hinein aufgestellte Behauptung der Beklagten, für die es keine Anhaltspunkte gibt. Bei der Klägerin handelt es sich um eine Ärztin, bei der ein vernünftiger Umgang mit ihren Medikamenten selbstverständlich sein dürfte. Sie machte überdies bei ihren Ausführungen vor der Einzelrichterin des Senats einen sehr besonnenen und keineswegs hysterischen Eindruck.
18
Zu Recht hat das Landgericht auch angenommen, dass die Klägerin nicht gehalten ist, die durch die Erfrischungstücher ausgelösten Beschwerden als Folge des allgemeinen Lebensrisikos hinzunehmen. Denn die an Bord befindlichen Mitarbeiter der Beklagten wussten von der Disposition der Klägerin, sodass sie gehalten gewesen wären, die Austeilung der feuchten Tücher zu unterlassen oder die Klägerin so zu separieren, dass es zu keiner allergischen Reaktion kommen konnte. Selbst die Beklagte stellt nicht in Abrede, dass die Klägerin der Zeugin D einen Hinweis erteilt habe, dass sie wegen der befürchteten allergischen Reaktion darum bäte, von einer Verteilung der Tücher Abstand zu nehmen. Die Zeugin D hat auch der Klägerin zu verstehen gegeben, dass man sich um ihr Anliegen kümmern werde, auch wenn nicht konkret die Zusage erteilt wurde, die Tücher nicht auszuteilen.
19
Nicht zu beanstanden ist die Beweiswürdigung des Landgerichts, das den Aussagen des Zeugen C nicht gefolgt ist, sondern der Zeugin D geglaubt hat. Der Senat ist an diese tatsächlichen Feststellungen gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO gebunden, da die Beklagte keine Umstände vorgetragen hat, die ernste Zweifel an der Richtigkeit der tatsächlichen Feststellungen rechtfertigen.
20
Auch wenn offensichtlich nicht alle Mitarbeiter der Beklagten auf dem Flug von O2 nach O1 über die Disposition der Klägerin orientiert waren, so wusste es jedenfalls die Zeugin D, die ihre Informationen auch an das Cockpit und den Purser weitergegeben hat. Dass es gleichwohl, ohne dass zuvor die Klägerin darüber in Kenntnis gesetzt wurde, zu der Verteilung der Tücher gekommen ist, liegt außerhalb des allgemeinen Lebensrisikos der Klägerin und stellt eine Pflichtverletzung der Beklagten dar, die auch in einem Großraumflugzeug die Fürsorge gegenüber einzelnen Passagieren, auf deren besondere Situation sie aufmerksam gemacht wurde, nicht vernachlässigen darf.
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Neben Art. 17 Abs. 1 MÜ ist die Haftung der Beklagten daher auch aus §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB begründet.
22
Die Klägerin muss sich jedoch gemäß Art. 20 MÜ, § 254 Abs. 1 BGB ein Mitverschulen anrechnen lassen, das der Senat mit ¼ berücksichtigt. Sie hätte, als sie auf ihrem Sitz Platz genommen hat, mit noch mehr Nachdruck auf ihre Situation aufmerksam machen müssen, um sicher zu gehen, dass die an Bord Verantwortlichen dieser auch entsprechen würden. Denn gerade weil eine Vielzahl von an Bord befindlicher Personen in einem Großraumflugzeug Dienste verrichtet und dabei in kurzer Zeit vielen Einzelbedürfnissen Rechnung getragen werden muss, müssen besonders wichtige Anliegen besonders nachdrücklich und lautstark vorgebracht werden. In dem Moment, wo die Verteilung der Tücher begann, hätte die Klägerin aufstehen und laut „Halt“ rufen müssen; zur Not hätte sie laut um Hilfe schreien können und müssen angesichts der Dringlichkeit ihres Begehrens.
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Nicht zu beanstanden ist die vom Landgericht festgesetzte Höhe des Schmerzensgeldes, das angesichts des Mitverschuldens aber auf 1.500 € zu verkürzen war.
24
Entgegen der Ansicht der Beklagten lag in der Gesundheitsbeeinträchtigung der Klägerin keine bloße Bagatelle. Sie hat eine anaphylaktische Reaktion erlitten und eine erhebliche Atemnot verspürt. Sie musste mit Sauerstoff und Medikamenten versorgt werden und der Zeuge B hat ihre Situation als ernst eingestuft.
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Die Kostenentscheidung der landgerichtlichen Entscheidung war abzuändern; die Kosten waren gemäß § 92 Abs. 1 ZPO zu quoteln. Ein Fall des § 92 Abs. 2 Nr. 2 ZPO ist nicht gegeben, weil die Klägerin die Höhe des Schmerzensgeldes zwar in das Ermessen des Gerichts gestellt hat, aber mit ausgiebiger Begründung ihre Vorstellung mit „nicht unter 15.000,– €“ angegeben hat.
26
Die Kostenentscheidung für das Berufungsverfahren beruht auch auf § 92 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO, 26 Nr. 8 EG ZPO.
27
Die Revision war nicht gemäß § 543 Abs. 2 ZPO zuzulassen, da die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts nicht erfordert.