Der bloße Verdacht, ein Anschlussflug könne wegen eines Streiks ausfallen, reicht nach dem Amtsgericht Hamburg (Az. 20a C 206/12) nicht aus, um einem Passagier die Mitnahme zu verweigern. Ihm steht deshalb eine Ausgleichszahlung wegen Nichtbeförderung nach der Fluggastrechteverordnung zu.

In dem verhandelten Fall ging es um einen Flug von Hamburg über Paris nach Mexiko-Stadt. In Hamburg verweigerte die Airline der Passagierin die Beförderung, weil der Anschlussflug nach Einschätzung der Airline in Paris mit großer Wahrscheinlichkeit wegen eines Streiks ausfallen werde und die Passagierin daher in Paris gestrandet wäre.

Dieser bloße Verdacht reicht nach Ansicht des Gerichts jedoch nicht aus, um die Beförderung zu verweigern. Das Risiko einer Fehleinschätzung trage die Airline.


Auszug aus den Gründen:

Die zulässige Klage ist begründet. Der Klägerin steht gegen die Beklagte ein Anspruch auf Ausgleichszahlung gern. Art. 4 i.V.m. Art. 7 Abs. 1c Fluggastrechteverordnung (nachfolgend: VO) zu. Der außergewöhnliche Umstand muss objektiv vorliegen. Der Verdacht eines außergewöhnlichen Umstandes reicht nicht.

I. Der Beklagte ist vorliegend nicht nach Paris befördert worden. Eine Nichtbeförderung i.S.d. Art. 2 j und 4 VO liegt damit vor, denn es ist anerkannt, dass eine Nichtbeförderung nicht nur den Fall der Überbuchung, sondern auch die Nichtbeförderung aus betrieblichen Gründen, namentlich aufgrund eines Streiks, regelt (vgl. dazu EuGH, Urt. v. 4.10.2012, Rs. C-22/11 ? Finnair, RRa 2012, 281).

Die Beklagte kann sich nicht auf außergewöhnliche Umstände gern. Art. 5 Abs. 3 VO berufen. Dabei kann dahinstehen, ob wie die Klägerin meint eine Berufung der Beklagten auf außergewöhnliche Umstände schon deshalb ausscheidet, weil Art. 5 Abs. 3 VO nicht auf den Fall der Nichtbeförderung anwendbar sei. Denn jedenfalls liegt nach Auffassung des Gerichts auch nach dem Vortrag der Beklagten kein außergewöhnlicher Umstand vor. Unstreitig sind sowohl der von der Klägerin gebuchte Flug von Hamburg nach Paris als auch der Flug von Paris nach Mexiko-Stadt am Ende trotz des (möglichen) Streiks in Paris planmäßig geflogen. Soweit die Beklagte vorträgt, aufgrund einer ex-ante-Prognose habe sie die Klägerin deshalb nicht nach Paris befördert, weil sie davon ausging, dass der Anschlussflug Paris-Mexiko Stadt mit großer Wahrscheinlichkeit ausfallen würde und die Klägerin daher in Paris gestrandet wäre, ist dies hier unerheblich. Der außergewöhnliche Umstand muss objektiv vorliegen. Der Verdacht eines außergewöhnlichen Umstandes reicht nicht. Das Risiko von Fehleinschätzungen im Rahmen von ex-ante-Prognosen, die sich ex-post als unrichtig erweisen, trägt die Beklagte.

Die Frage des Prognoserisikos hinsichtlich des Vorliegens eines außergewöhnlichen Umstandes ist nach der Recherche des Gerichts bisher nicht Gegenstand der Rechtsprechung gewesen. Daher ist der Begriff entsprechend den allgemeinen Regeln auszulegen.

Der außergewöhnlichen Umstands ist weder in Art. 2 VO, der verschiedene Begriffsbestimmungen enthält, noch in sonstigen Vorschriften der Verordnung definiert. Inhalt und Reichweite des Begriffs sind daher anhand seiner Bedeutung und Tragweite entsprechend seinem Sinn, dem gewöhnlichen Sprachgebrauch und der mit der betreffenden Regelung verfolgten Ziele zu ermitteln.

Art. 5 Abs. 3 VO fordert ausweislich seines Wortlauts, der im Unionsrecht nicht anders als im deutschen Recht den Ausgangspunkt der Auslegung bildet, denn Nachweis, dass die Annullierung auf außergewöhnliche Umstände zurückgeht. Der Verdacht eines außergewöhnlichen Umstandes reicht daher, wie durch die Begrifflichkeit des Nachweises zusätzlich verdeutlicht wird, nicht.

Diese Auslegung entspricht auch Sinn und Zweck der Norm. Denn die Beklagte hat im Falle des Streiks hinsichtlich der erforderlichen Reorganisation einen gewissen Entscheidungsspielraum. So kann nach der Rechtsprechung des BGH die Nichtdurchführung eines einzelnen Fluges nicht deshalb als vermeidbar angesehen werden, weil stattdessen ein anderer Flug hätte annullierte werden können (vgl. dazu BGH, Urt. v. 21.8.2012 ? X ZR 146/11). Erkennt man aber diesen Einschätzungsspielraum des Luftfahrtunternehmens aufgrund der besseren Sachkenntnis an, erscheint es billig, dem Luftfahrtunternehmen gleichsam als Kehrseite der Medaille auch das Risiko von Fehleinschätzungen aufzuerlegen. Diese Risikoverteilung ist auch deshalb sachgerecht, weil der Fluggast die Situation in keiner Weise einschätzten kann und daher auf die Angaben der Beklagten vertrauen muss.

Für dieses restriktive Auslegung spricht zudem die Tatsache, dass es sich bei Art. 5 Abs. 3 VO um einen Ausnahmetatbestand zu der grundsätzlich vorliegenden Haftung handelt. Ausnahmetatbestände sind im Zweifelsfall eng auszulegen.

Ein anderes Ergebnis ist nach Auffassung des Gerichts auch nicht deshalb geboten, weil der viel zitierte Schutz des Fluggastes ein Eingreifen der Beklagten erforderte. Unabhängig davon, dass der Schutz des Fluggastes üblicherweise zur Begründung und nicht zur Ablehnung von Ansprüchen des selbigen herangezogen wird, sieht das Gericht hier kein ausreichendes Schutzbedürfnis. Denn es besteht anders als z.B. im Rahmen des Gefahrenabwehrrechts kein Anlass die Klägerin als erwachsenen Frau durch ex-post betrachtet unrichtige Beförderungsverweigerungen vor einem längeren Aufenthalt in Paris zu schützen. Wäre es der Beklagten, wie von ihre vorgetragen, tatsächlich um die Interessen der Klägerin gegangen, so hätte sie diese vielmehr über das Risiko informieren und sodann selbstbestimmt entscheiden lassen sollen. Dies wurde jedoch von keiner der beiden Parteien vorgetragen.